Heroin hat in den letzten Jahrzehnten einen Imagewandel erfahren:
Das »Fixen« in offenen Drogenszenen macht nicht mehr Schlagzeilen, Schadensminderung und differenzierte Behandlungsangebote haben zu einer Verbesserung der Situation geführt. Trotzdem bleibt Heroin auf den globalisierten Drogenmärkten sehr präsent und stellt weiterhin eine wichtige gesundheitspolitische Herausforderung dar. Informationen über den Stoff, die Risiken des Konsums und die verschiedenen Möglichkeiten, seine Schäden zu mindern und den Ausstieg zu erleichtern, sind nach wie vor aktuell.
Nachdem Opium und opiumhaltige Mischungen für Jahrtausende als Heilmittel gedient hatten, wurde Heroin erstmals 1874 vom Engländer C. R. A. Wright im Chemielabor hergestellt und wenig später von der chemischen und pharmazeutischen Industrie in Deutschland (Bayer, 1898) und der Schweiz (Basler Chemie) in großen Mengen produziert und als gängiges Arzneimittel vermarktet.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es unter dem Einfluss moralischer, medizinischer und politischer Vorstellungen zu einer Verschärfung der Drogenpolitik gegen Opium und die mit ihm verwandten Substanzen. Der medizinische Nutzen des Heroins wurde in Frage gestellt und seine soziale Schädlichkeit betont. Unter dem Druck internationaler Abkommen zur Drogenkontrolle wurde Heroin mehr und mehr als »Todesdroge« betrachtet und auch in Europa gesetzlich verboten.
In Österreich verbietet das Suchtmittelgesetz Herstellung, Handel und Besitz von Heroin. Ausnahmen zu wissenschaftlichen Zwecken sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden in mehreren europäischen Städten offene Drogenszenen, in denen sich eine wachsende Anzahl von schwer Abhängigen bewegte und dem hohen Risiko von HIV-Infektion, Beschaffungskriminalität und Prostitution aussetzte. Neben anderen Maßnahmen (wie Spritzenabgabe, Einrichten von Anlauf- und Kontaktstellen) wurde daher verstärkt mit Substitutionsprogrammen begonnen.
Opiate sind Substanzen, die direkt aus der Opiumpflanze (»Schlafmohn«) gewonnen werden. Heroin (in der Szenesprache auch »Sugar«, »H«, »Gift«) wird zu den halb synthetischen Opiaten gezählt. Es wird im Chemielabor hergestellt, indem die aus Rohopium gemachte Morphinbase mit Essigsäureanhydrid gekocht wird. Die so hergestellte Substanz hat die chemische Bezeichnung »Diacetylmorphin«. Sie erhielt wegen ihrer »heroischen« Wirkung den Handelsnamen Heroin. Heroin wirkt wie Morphin, nur stärker, und es gelangt schneller an die Opiatrezeptoren im Gehirn.
Heroin vermindert:
Heroin steigert:
Heroin löst nach wenigen Sekunden den so genannten »Flash« aus. Danach stellt sich ein Zustand der Beruhigung ein. Die Droge stillt Schmerzen und versetzt den Konsumierenden in eine euphorische Stimmung. Sie übt aber auch eine erregende Wirkung auf das Zentralnervensystem aus: Das Selbstvertrauen nimmt zu, Ängstlichkeit und Anspannung verfliegen. Eine Heroindosis wirkt fünf bis acht Stunden nach der Einnahme nur noch halb so stark. Heroin bzw. seine Abbauprodukte können im Blut während einiger Stunden, im Urin während zwei bis drei Tagen nachgewiesen werden.
Ein großer Teil der Heroinkonsumierenden spritzt sich die Droge intravenös. Heroin wird aber auch geraucht, gesnifft oder (sehr selten) gegessen; daneben hat sich insbesondere das Inhalieren von Heroindämpfen (»Folienrauchen« oder »den Drachen jagen«) verbreitet. Je nach Art des Konsums sind Wirkung und Risiken unterschiedlich.
Auf dem Schwarzmarkt käufliches Heroin ist weiß bis beige und pulverförmig oder kristallin. Es wird hauptsächlich aus der Türkei, dem Balkan und in den letzten Jahren wieder vermehrt aus der ehemaligen Sowjetunion und Afghanistan eingeschmuggelt. Die Schwarzmarktpreise unterliegen starken Schwankungen, sinken in letzter Zeit aber durch die globale Überproduktion von Rohopium. Um die Wirkungen zu verändern, wird Heroin oft mit anderen Drogen wie Kokain vermischt (»Speedball«, »Cocktail«). Schwarzmarktheroin wird oft mit Gips, Traubenzucker, Schmerzmitteln, zum Teil sogar mit Strychnin und ähnlichen Giften gestreckt, so dass seine Reinheit stark variiert. Gerade diese Mischungen stellen ein nicht kalkulierbares Risiko dar und führen zu Unfällen mit Überdosen.
Kurzfristige Folgen:
Beim Spritzen von Heroin besteht das Risiko einer Infektion. Es können HIV (Aids) und Leberinfektionen (Hepatitis) übertragen werden. Unsachgemäße oder unhygienische Injektionen können Blutvergiftungen und Abszesse verursachen. Während Infektionen beim Rauchen, Inhalieren und Sniffen selten auftreten, bestehen bei diesen Konsumformen andere Risiken, so etwa die Schädigung von Atemwegen, Lungen und Nasenschleimhäuten. Heroinkonsum birgt auch immer das Risiko von akuten Todesfällen durch Überdosis oder allergische Schocks.
Es gibt kaum mehr Drogenkonsumentinnen und -konsumenten, die ausschließlich von Heroin abhängig sind. Beim verbreiteten Mischkonsum von illegalen Drogen (Heroin mit Kokain, Cannabis) oder legalen Drogen (alkoholische Getränke, Benzodiazepine) kann es zu schwer kalkulierbaren Wirkungen kommen.
Langfristige Folgen:
Entgegen der verbreiteten Meinung bringt der dauerhafte Gebrauch von (reinem) Heroin nicht automatisch Organvergiftungen mit sich, und er hat nur geringe körperliche Folgen. Längerfristige körperliche Schädigungen können durch Verunreinigungen des Heroins entstehen. HIV-Infektionen, Hepatitis B und C und Mangelerkrankungen sind durch die Lebensumstände (schlechte Injektionshygiene, Spritzentausch, Prostitution, mangelhafte Ernährung) bedingt.
Ob Heroingebrauch langfristig die Psyche schädigt, ist nicht eindeutig geklärt. Studien zeigen, dass rund 80 Prozent der Opiatabhängigen an einer oder mehreren psychischen Störungen (Phobien, Angststörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen) leiden (Frei/Rehm 2002). Die psychischen Erkrankungen müssen aber nicht unbedingt eine Folge des Heroinkonsums sein. Sie können parallel zur Heroinabhängigkeit verlaufen oder eine Ursache für eine Suchtentwicklung sein.
Die sozialen Risiken wie Beschaffungskriminalität, Beschaffungsprostitution, Kleindealerei und soziale Verwahrlosung sind weniger eine direkte Folge des Heroinkonsums als vielmehr eine Folge der Illegalität der Droge.
In Österreich tauchte Heroin Mitte der siebziger Jahre erstmals in größeren Mengen in den städtischen Drogenszenen auf. In den achtziger und neunziger Jahren stieg die Zahl der Heroinkonsumierenden deutlich an. Berechnungen des ÖBIG (Bericht zur Drogensituation 2011) »lassen einen Wert im oberen Bereich des Intervalls von 25.000 bis 37.000 Personen mit problematischem Drogenkonsum plausibel erscheinen (in Österreich in erster Linie polytoxikomaner Drogenkonsum mit Beteiligung von Opiaten).« Die Österreichweite Repräsentativerhebung 2008 (Uhl et al. 2009) geht von einer Lebenszeitprävalenz von 0,6 % aus, wobei die Werte bei Männern und in Städten höher liegen als bei Frauen und in ländlichen Gebieten. Nach Altersgruppen gegliedert finden sich die höchsten Werte bei den 40- bis 49-Jährigen. Die Konsumausstiegsrate (also der Anteil derjenigen, die Erfahrungen mit Heroin haben, bei denen jedoch kein Konsum im letzten Monat vorliegt) liegt mit 78 % zwar relativ hoch, ist aber niedriger als bei anderen untersuchten illegalen Substanzen.
2010 wurden in Österreich 96 kg Heroin im Schwarzmarktwert von ca. 6,7 Mio. EUR beschlagnahmt, die Anzahl der Sicherstellungen sank gegenüber 2009 um 16,32 %. Es kam 2010 zu insgesamt 3.554 Anzeigen in Zusammenhang mit Heroin in Österreich.
Todesfälle durch eine Überdosis Heroin – meist in Verbindung mit anderen Substanzen – kommen weiterhin vor, seit Anfang der 1990er-Jahre pendelt die Zahl der Drogentoten in Österreich zwischen 117 (1998) und 195 (1996), im Jahr 2011 starben insgesamt 170 Personen an Drogenkonsum, fast alle davon KonsumentInnen von Opiaten (allein oder mit anderen Substanzen zusammen).
Üblicherweise sind klinisch drei Hauptsymptome erkennbar:
Weitere klinische Zeichen einer Überdosierung sind:
Außerdem können Komplikationen wie Lungenödem (Wasseransammlung in der Lunge), Hirnödem (Wasseransammlung im Gehirn), Schock und Koma auftreten.
Das Risiko einer Überdosis hängt stark von individuellen Faktoren ab. Deshalb kann nicht eindeutig gesagt werden, ab welcher Dosis Heroin akut gefährlich wird. Für eine Person, die nicht an Heroin gewöhnt ist, kann bereits eine intravenöse Dosis von 20 Milligramm äußerst gefährlich sein. Das Risiko ist insbesondere dann hoch, wenn die eingenommene Heroindosis unbekannt ist, wie dies bei verunreinigtem Schwarzmarkt-Heroin oft der Fall ist. Die beigemischten Streckstoffe oder die Kombination der Droge mit Alkohol und Beruhigungsmitteln tragen häufig zu allergischen Schocks sowie Atem- und Kreislaufdepressionen als Todesursache bei.
Heroin gerät über die Plazenta in den Blutkreislauf des ungeborenen Kindes und entfaltet auch dort seine Wirkungen. Bei einem abrupten Entzug leidet auch der Fötus. Heroin konsumierende Frauen erkennen die Anzeichen einer Schwangerschaft oft sehr spät, da sie Übelkeit und Erbrechen für Entzugssymptome halten und die Monatsblutung bei ihnen auch ohne Schwangerschaft häufig ausbleibt.
Risiken für die Schwangere:
Risiken für den Fötus:
Risiken für das Neugeborene:
Eine Substitutionsbehandlung (z.B. mit Methadon), verbunden mit psychosozialer Betreuung, gilt als angemessene Behandlung für Mutter und Kind. Ein abrupter Entzug erhöht das Risiko einer Totgeburt. Die Muttermilch enthält bei Heroin konsumierenden Frauen Anteile der Droge.
Heroin hat ein extrem hohes Abhängigkeitspotenzial und kann zu psychischer und körperlicher Abhängigkeit führen.
Eine Abhängigkeit von Heroin bedeutet:
Ein Entzug zeigt sich vor allem in Zittern, Schwitzen, Durchfall, Schmerzzuständen und psychosomatischen Symptomen (zum Beispiel Schlaflosigkeit, Unruhe, Angst). Ein »kalter Entzug« wird ohne Unterstützung durch Medikamente durchgeführt. Seine Symptome beginnen etwa acht Stunden nach dem letzten Heroinkonsum, erreichen 36 bis 72 Stunden nach der letzten Injektion ihren Höhepunkt und sind nach sieben bis zehn Tagen überstanden. In einem »warmen Entzug« werden die Entzugserscheinungen durch Medikamente gelindert. Die Rückfallgefahr nach einem Entzug ist bei Heroinabhängigkeit groß, besonders wenn die Betroffenen ins Drogenmilieu zurückkehren.
Unter dem Einfluss einer pragmatischen Drogenpolitik (Viersäulenmodell: Prävention, Repression, Therapie und Schadensminderung) hat sich die Situation der Heroinkonsumierenden seit den achtziger und neunziger Jahren verbessert. Mit einer Palette an Suchtbehandlungen und niederschwelligen Anlaufstellen können heute die gesundheitlichen und sozialen Schädigungen des Heroinkonsums vermindert werden.
Die Angebote verfolgen unterschiedliche Ziele:
Abstinenz, Substitution und Schadensminderung.
Im Bereich der Schadensminderung stehen Einrichtungen wie Kontakt- und Anlaufstellen zur Verfügung, in denen die Konsumierenden betreut und beraten werden und saubere Spritzen und Nadeln beziehen können.
Gezielte Information ist wichtig:
Die Heroinkonsumierenden müssen die Risiken, die sie eingehen, kennen. Sie halten beispielsweise die neuen Konsumformen (Rauchen, Sniffen) häufig für weniger abhängigkeitserzeugend als das Spritzen. Das Suchtpotenzial von Heroin ist jedoch bei allen Konsumformen hoch.
Mit schadensmindernden Maßnahmen kann die Lebenssituation von Heroinabhängigen verbessert werden. Doch es bleibt erstes Ziel der Prävention, den Einstieg zu verhindern, gerade bei einer so stark abhängig machenden Droge. Neben der Grundaufgabe, über Wirkungen und Risiken zu informieren, richtet sich die Prävention vor allem an Zielgruppen, die einen oder mehrere Risikofaktoren für ein Suchtverhalten aufweisen, zum Beispiel familiäre Schwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, geringe Stressresistenz. Die Früherkennung von Risikosituationen, gefolgt von einer angemessenen Intervention, ist ein wichtiges Instrument der Prävention.
Teile des Inhalts mit freundlicher Genehmigung von Sucht Schweiz, Lausanne, CH und dem Institut für Suchtprävention
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